Von Liebe und Schatten

Von Liebe und Schatten
  • Handlung
  • Atmosphäre
  • Spannung
  • Schreibstil
4.1

Information:

Verlag: Suhrkamp Verlag
Autor: Isabel Allende
Erscheinungsdatum: März 1990
Seiten: 424
Erzählort: Los Riscos und Umgebung (Chile)
Erzähldatum: 1978
Erzählperspektive: Personaler und auktorialer Erzähler
Genre: Unterhaltungsroman
ISBN: 978-3-518-38235-6

Inhalt:

Als die fünfzehnjährige Evangelina Ranquileo, die sich bereits durch ihr helles Haar von ihrer Familie stark unterscheidet, beginnt unter epileptischen Anfällen mit unerklärlichen Begleitumständen zu leiden, die jeden Tag zur selben Uhrzeit auftreten, verbreitet sich in der Gegend schnell das Gerücht, dass Evangelina eine Heilige sei, imstande Wunder zu vollbringen. Immer mehr Menschen kommen zu der Familie, um Hilfe von der „Heiligen“ zu bekommen für ihre Probleme. Von diesen Begebenheiten neugierig geworden, begibt sich die Journalistin Irene Beltran zusammen mit ihrem Fotografen Francesco Leal zu den Ranquileos, um über Evangelina und ihre Gabe eine Reportage für eine Zeitschrift zu machen. Doch als bei dem Treffen mit der Journalistin Evangelina wieder einen epileptischen Anfall hat, wird plötzlich das Haus von Soldaten gestürmt. In einem Trance ähnlichen Zustand und mit Kräften, die man einem zierlichen Mädchen nicht zugetraut hätte, wirft sie den befehlshabenden Leutnant aus dem Haus, wodurch sie ihn vor den Augen seiner Leute erniedrigt.

Kurze Zeit darauf nimmt der Leutnant Rache: Evangelina wird eines Nachts aus dem Haus gerissen, verhört und verschwindet ohne Spuren zurück zu lassen. Irene und Francesco begeben sich auf die Suche nach dem Mädchen und der Wahrheit über diese verhängnisvolle Nacht. Als ihre Ermittlungen die beiden zu einer verlassenen und abgesperrten Mine führen, stoßen sie auf ein abgrundtief grausames Geheimnis, dessen Kenntnis ihr Leben auf einen Schlag ändert.

Meine Meinung:

Die Handlung beginnt damit, dass man von den vertauschten Evangelinas erfährt: Zwei Mütter – beinahe Nachbarinnen – bekommen zur gleichen Zeit im selben Krankenhaus in Los Riscos jeweils ein Mädchen, die jedoch vom überforderten Krankenhauspersonal vertauscht werden. Der Fehler, der zwar den Müttern, den Töchtern und in der gesamten Gegend bekannt ist, wird nicht berichtigt, sodass die beiden Mädchen bei der Mutter aufwachsen, der sie übergeben worden sind. Dafür bekommen beide den Vornamen Evangelina. Evangelina Ranquileo hebt sich zwar durch ihr Aussehen stark von den anderen Familienmitgliedern hervor, doch ihr Anderssein wird erst dann richtig bekannt, als sie beginnt an starken Anfällen zu leiden, bei denen sie selbst das Geschirr scheinbar durch reine Willenskraft zum Fallen bringt.

Am Anfang werden sehr viele Charaktere auf einmal eingeführt, verbunden mit oft wechselnden Sprüngen zwischen den einzelnen Charakteren bzw. Familien. Es dauert einige Zeit, bis man die Zusammenhänge genau einordnen und sehen kann, worauf die Geschichte hinauslaufen soll. Dafür erfährt man wirklich ziemlich viel detailliertes über sehr viele Charaktere, d.h., die Figuren werden genau beleuchtet, sodass ihre Hintergründe deutlich erkennbar sind. Ferner zeigt die Autorin genau die Klassenunterschiede zwischen den einzelnen Familien auf – die Armut wie auch den Reichtum. So zum Beispiel gehört Irenes Familie zur gehobenen Schicht des Bürgertums und ist wohlhabend. Sie hat ein unbeschwertes Leben, keine Sorgen, wurde immer vor Grausamkeiten bewahrt, sodass sie die kalte Realität gar nicht sehen und auch sich nicht vorstellen kann. Doch als sie plötzlich während der Ermittlungen mit der Wahrheit über ihr Land konfrontiert wird, den Folterungen und Hinrichtungen, der Armut und Flucht von verzweifelten Menschen, kann sie nicht mehr so weiter machen wie bisher. Stattdessen beginnt sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nun für Gerechtigkeit zu kämpfen. Francescos Familie hingegen ist arm und intellektuell. Er selbst weiß von den Schrecknissen der Militärdiktatur und ist aktiv tätig, Menschen bei der Flucht zu helfen. Irenes und Francescos gemeinsames Bestreben führt sie letztendlich zusammen.

Größtenteils spielt die Handlung ca. fünf Jahre nach der Machtübernahme des Militärs in Chile. Die Autorin stellt sehr anschaulich das Leben in einer Militärdiktatur dar, die Grausamkeiten, die begangen werden, die Lügen, der allgegenwärtige Geheimdienst, die ständige Angst etwas falsches in der Öffentlichkeit zu sagen und auf immer zu verschwinden, die erdrückende Arbeitslosigkeit, die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sowie die verrückt machende Unfähigkeit, etwas daran ändern zu können. Anfangs erscheint die Geschichte noch ruhig dahinzuplätschern. Dann wandelt sie sich nach und nach zu einem bedrückenden und mysteriösen Roman und erschafft eine knisternde und bedrohliche Atmosphäre, sodass es einem manchmal einen Schauer den Rücken hinunterjagen lässt. Das Ende wirkt dramatisch.

Der Schreibstil ist recht nüchtern und hervorragend – flüssig zu lesen und spannend. An einigen Stellen kam es mir jedoch etwas zu langatmig vor. Was besonders hervorsticht, ist die Abwechslung in den Erzählperspektiven. Hauptsächlich hat die Autorin den Personalen Erzähler verwendet, doch immer wieder wird aus der auktorialen Erzählperspektive erzählt, wodurch man eine Vorwegnahme auf die Zukunft erhält, die den Charakteren jedoch noch nicht bekannt ist.

Fazit:

Einzigartiges Buch mit geschichtlichem Hintergrund und zum Nachdenken anregend. Es zeigt nicht nur die Liebesgeschichte von zwei Menschen, die für Gerechtigkeit kämpfen, sondern auch die Schatten einer Gesellschaft, in der Grausamkeiten Gang und Gäbe sind, die Wirklichkeit jedoch mit Gewalt verschleiert wird.

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